Es klingelte. Josy warf einen Blick auf die Küchenuhr. Kurz vor vier, sicher ihre Gemüselieferung. Sie ging zur Tür und nahm den Hörer der Gegensprechanlage.

»Ja, bitte?«

»Green Garden hier. Welcher Stock?«

»Der Dritte. Stellen Sie es einfach vor die Tür und klopfen kurz«, antwortete Josy und verzog das Gesicht, als der Mann am anderen Ende der Leitung genervt stöhnte. Sie drückte den Knopf zum Öffnen und wartete hinter der geschlossenen Wohnungstür.

Nach ein paar Minuten blickte sie stirnrunzelnd durch den Türspion. So lange brauchte man doch nicht bis in den dritten Stock? Oder hatte er das Paket abgelegt und war, ohne zu klopfen, gleich wieder verschwunden? Alle, die im Lieferdienst beschäftigt waren, standen ja extrem unter Zeitdruck. Und dann bei diesem heißen Wetter!

So wird es wohl gewesen sein, seufzte Josy, öffnete die drei Sicherheitsriegel, schloss die Tür auf und erblickte das Green Garden Paket auf der Fußmatte. Sie bückte sich und hob es auf. Im Augenwinkel sah sie plötzlich in der Ecke des Treppenhauses, wie sich in der Luft merkwürdige Schlieren bildeten. Doch da war es schon zu spät.

Josy konnte weder reagieren, noch schreien. Brutal wurde sie in die Wohnung gestoßen und fiel zu Boden. Die Tür knallte ins Schloss und Josy schnappte entsetzt nach Luft.

Vor ihr stand das Alien, das sie vor drei Jahren am Möhnesee gesehen hatte! Oder zumindest eines derselben Art, von derselben Größe und in den gleichen Klamotten.

Ein dunkles Shirt lag eng am Körper des Wesens und auch die Panzer an den Schultern und auf der Brust waren wie damals. Bei Tageslicht jedoch konnte man feine gradlinige Muster darauf erkennen. Auch der Helm war derselbe, nur sah Josy jetzt, warum sie damals kein Gesicht hatte erkennen können. Der Helm aus mattgrauem Metall bedeckte Kopf und Wangen und hatte ein schwarz glänzendes Visier, das alles darunter verbarg. Die weite graue Cargohose hatte keine Taschen und fiel locker um seine Beine. Nur um die Oberschenkel waren schwarze Halfter gebunden und in jedem steckte ein dicker silberner Stab mit einem schwarzen Griff. Ein kleines rotes Licht blinkte aggressiv daran. Ganz sicher war es eine Waffe und sie war geladen! Das Alien trug schwarze Handschuhe und Stiefel mit dicken Sohlen und flachen, mattsilbernen Schnallen. Helm, Handschuh und Stiefel hatten das gleiche Muster wie die Panzerung. Holoprojektoren, dachte Josy in einem Moment der Klarheit. Fast jede Spezies hatte ihre eigenen entwickelt. Sie verhinderten, dass Wesen mit humanoider Netzhaut das Alien sehen konnten, doch in den Räumen von Interstellar Cooperation funktionierten sie nicht. Das Sicherheitssystem durchbrach solche Täuschungen.

 

»Wo ist es?«, fragte es und Josy erkannte die Stimme. Sie klang genauso schleppend, gutakzentuiert und blechern wie vor drei Jahren. Und genauso tief und bedrohlich.

Langsam rappelte sich Josy auf und ließ den Blick nicht von dem Alien. Es war fast zwei Meter groß und, wenn sein Shirt direkt auf der Haut und seine Muskelstruktur Ähnlichkeit mit der menschlichen hatte, sicher auch verdammt stark.

»Wo – ist – es?«, wiederholte es seine Frage.

Josy schluckte.

Wer redet, kann nicht gleichzeitig beißen. Wer fragt, erwartet eine Antwort und wer nicht mit einer Waffe auf dich zielt, ist vermutlich friedlich. So hatten sie bei Interstellar Cooperation gelernt, Begegnungen mit neuen Spezies zu klassifizieren. Doch galt das auch, wenn man eben jenes Alien bestohlen hatte?

 

 

 

 

Josy trat einen Schritt zurück und bekam eine Gänsehaut. Es war unfassbar heiß in der Wohnung, trotzdem fühlte sich ihr Schweiß kalt an. Das Alien kam einen Schritt auf sie zu und der Holzboden ächzte unter seinem Gewicht.

»Wo … ist …«

Es hielt inne, machte noch einen Schritt und sank plötzlich in die Knie. Ein undefinierbarer Laut erklang dumpf unter dem Helm und es brach zusammen.

Josy keuchte erschrocken auf. Einen Moment lang stand sie wie gelähmt da. Sie sollte Hironimo anrufen, doch … Hironimo kannte diese Spezies nicht und bisher hatte Interstellar Cooperation nicht herausgefunden, wem sie begegnet war. Und falls Hironimo diesem Alien helfen konnte, würde es ganz sicher dieselbe Frage an ihren Vorgesetzten stellen. Und damit verraten, was Josy damals verschwiegen hatte. Hironimo würde nicht begeistert sein.

Vorsichtig ging Josy auf das Alien zu. Sein Körper steckte in dem Anzug. Es war nicht ein Stück seiner Haut zu sehen. Vielleicht bekam es darin bei dem heißen Wetter einfach nicht genug Luft? Jedes Lebewesen atmete, irgendwie und irgendwas, und seine Kleidung schien kein Schutzanzug zu sein, wie ihn Spezies brauchten, die Sauerstoff nicht vertrugen.

Josy ging vor ihm auf die Knie. Immer noch röchelte es leise. Sie inspizierte den Helm und fand schließlich am Kinn eine metallische Platte, die nicht dem Schutz dienen konnte. Beherzt drückte sie darauf und ein Geräusch erklang, als hätte man ein Loch in eine vakuumierte Verpackung gestochen. Die Metallplatten an den Wangen schwangen auf und das schwarz glänzende Visier glitt in den Kopfteil des Helms. Mit einer Hand hob Josy den Kopf an und zog ihm den Helm ab.

Sie schluckte und wappnete sich für den Anblick des Aliens. Unter den Außerirdischen gab es für menschliche Augen ziemlich hässliche Spezies. Mit Kiefern wie Gottesanbeterinnen, oder warziger Haut wie bei Kröten.

Doch das Gesicht des Aliens war humanoid. Zwei Augen, zwei Ohren, eine Nase und ein Mund. Und ganz sicher war es nicht in der Kartei von Interstellar Cooperation gelistet. Die Ohren hatten Ähnlichkeit mit ihren eigenen, doch sie lagen eng am Kopf an, als hätte ein Schönheitschirurg ehemals abstehende Ohrmuscheln angelegt. Die Nase war markant, der Nasenrücken begann schon etwas oberhalb der Augenlinie und zog sich wie eine klassisch griechische Nase gerade nach unten. Die Nasenspitze jedoch war gerundet und wurde eingerahmt von Nasenflügeln, die wirkten, als wären sie leicht gebläht. Der Unterkiefer war kantig und das Kinn ein wenig länglicher, als es zu den Gesichtsproportionen gepasst hätte. Die Haut schien die Zellstruktur eines Menschen zu haben, doch sie war haarlos. Weder am Kinn, noch an den markanten Wangen konnte Josy den Schatten eines Bartwuchses erkennen. Die Farbe der Haut würde sie als honigbraun beschreiben, bis auf die auffällige Zeichnung darauf. Sie zog sich wie ein dunkles, schwarz-braunes Muster leicht gewellt in das Gesicht. Geschwungene breite Linien liefen vom Kopf aus spitz auf Stirn und Wangen und züngelten wie Flammen vom Hals aus bis auf das kantige Kinn. Linien zogen sich über jedes seiner Augen, so dass sie wie Augenbrauen wirkten, die arrogant oder spöttisch hochgezogen waren. Wimpern besaß es ebenfalls nicht, doch wie mit einem dicken Kajalstift gezogen, lief ein schwarzer Strich über den Rand seiner Lider.

Eine solche Spezies hatte Josy noch nie gesehen. Auch wenn sie regelmäßig auf Schulungen die neuesten Mitglieder der Konföderation zumindest im Bild und mit Beschreibungen, Riten und Sprachcode kennenlernte.

Die Lippen waren menschenähnlich. Nicht zu voll und nicht zu schmal, und etwas dunkler als Josys. Die Mundwinkel waren ein wenig nach unten gezogen. Das und der ausgeprägte Mundringmuskel verliehen ihm ein grimmiges Aussehen. Die Lippen waren leicht geöffnet und es atmete pfeifend.

Das Alien hatte Haare, die jedoch genauso gut dicke Seile hätten sein können. Der Haaransatz hatte eine perfekte Herzform, die auf der Mitte der Stirn begann, in gleichmäßigen Bögen an seinen Schläfen endete und in gerader Linie über die Ohren lief. Die Haare, die am Ansatz wuchsen, waren dicker als menschliche Haare und schienen sich eng an der Kopfhaut miteinander zu verflechten, so dass sie erst am Hinterkopf in gedrehten Strähnen herabhingen. Es röchelte wieder.

Vielleicht ist es dehydriert?, dachte Josy. Draußen waren es über fünfunddreißig Grad, hier im Haus gefühlte vierzig. Neunundneunzig Prozent aller Spezies vertrugen Wasser und brauchten Flüssigkeit, um zu existieren. Schnell sprang Josy auf und holte eine Flasche aus dem Kühlschrank. Vorsichtig flößte sie dem Alien etwas ein und es schluckte instinktiv. Doch die Augen blieben weiter geschlossen und es rührte sich nicht.

Dieser Anzug sieht nicht atmungsaktiv aus, dachte Josy und musterte ihn aufmerksam. An den Handschuhen war ein ähnlicher Knopf wie am Helm. Josy drückte fest darauf. Das Material blähte sich auf und Josy konnte die Handschuhe herunterziehen.

Eine gleiche Vorrichtung fand sie an den Stiefeln und zog sie ihm aus. Mutig legte sie die Finger auf sein Handgelenk und zog sie schnell wieder zurück. Es schien zu glühen! Sie musste kein Alienexperte sein, um zu erkennen, dass es völlig überhitzt war. Schnell sprang sie auf, warf Crushed Ice in die Spüle und füllte sie mit kaltem Wasser. Aus ihrem Bad holte sie Handtücher, zog sie durch das Wasser, wrang sie aus und umwickelte seine Knöchel und Handgelenke damit. Ein weiteres Tuch legte sie auf seine Stirn. Sie flößte ihm erneut etwas Wasser ein und dieses Mal öffnete es den Mund.

Mit zitternden Händen gab Josy ihm einen kleinen Schluck. Es hatte das Gebiss einer Raubkatze! Die Schneidezähne wirkten noch menschlich, doch die Eckzähne glichen denen eines Löwen. Seine Mundpartie war vermutlich deswegen so ausgeprägt um Platz für die zwei Zentimeter langen oberen Reißzähne zu haben. Die Unteren waren nicht ganz so lang.

Na ja, immer noch besser als Beißzangen, oder die mit Haifischzähnen bestückten Schlunde der Oigiraner, versuchte Josy sich zu beruhigen.

Erneut flößte sie ihm etwas Wasser ein. Das Alien schluckte, öffnete die Augen und starrte sie an. Josy wich zurück. Das Wesen hatte keine Pupille. Vielmehr sah seine Iris aus wie eine einzige schwarze Pupille. Das Weiß des Augapfels jedoch wirkte wieder menschlich.

»Mehr«, krächzte es heiser und öffnete die Lippen.

Gehorsam gab sie ihm einen weiteren Schluck. Es holte tief Luft und schloss wieder die Augen. Josy nahm die Handtücher von seinen Hand- und Fußgelenken, tauchte sie erneut in eiskaltes Wasser und legte ihm ein frisches Tuch auf die Stirn.

Sie hatte Recht gehabt, das Wesen war dehydriert und überhitzt gewesen. Jetzt schlug es erneut die Augen auf und stemmte sich mit den Armen hoch.

In diesem Moment dachte Josy, dass es vielleicht doch nicht so eine gute Idee gewesen war, es zu retten. Es erholte sich erschreckend schnell. Mit einer Hand griff es jetzt unter die Panzerung auf seiner rechten Brust. Die Metallplatten fielen zu Boden und das enge Shirt darunter löste sich mit einem schmatzenden Geräusch von seiner Haut. Wie ein lockeres Sommeroutfit hing es nun an seinem Körper.

Josy stand auf, wich zurück und starrte es an.

Das Alien hob den Kopf und blickte ruckartig zu ihr. Das Muster über seinem rechten Auge wirkte, als würde es skeptisch eine Augenbraue rümpfen. Dann zog es das Shirt über den Kopf und drückte die kalten feuchten Handtücher auf seine nackte Haut. Es atmete erleichtert auf, nahm die Tücher von den Fußknöcheln und rieb damit erneut über seinen Oberkörper und seine Arme.

Josy folgte seinen Bewegungen mit den Blicken. Ein sehr menschlicher Oberkörper, auch wenn sie noch nie einen so stählernen mit eigenen Augen gesehen hatte. Es besaß sogar Brustwarzen und einen Bauchnabel! Eine Spezies also, die lebend gebar und sich wie Säugetiere um ihren Nachwuchs kümmerte.

Jetzt erhob es sich, stellte sich breitbeinig vor sie und musterte sie argwöhnisch.

»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte es, und ohne den Helm war die Stimme tief und angenehm. Fast menschlich, auch wenn es immer noch jedes Wort eigenartig betonte.

»Scheint so«, erwiderte Josy eingeschüchtert.

»Warum?«

Josy schluckte. »Werde ich es bereuen?«, fragte sie statt einer Antwort.

Verdammt sollte das Alien sein, wenn dies ihre letzten Minuten auf Erden waren.

»Auf eurem Planeten ist es unerwartet warm. Ich war darauf nicht vorbereitet.«

»Hast du einen Namen?«

»Dacan Gor DaVitt«, sagte es. »Und du?«

»Josy.«

Es verzog das Gesicht. »Lüg mich nicht an.«

»Ich lüge nicht!«, empörte sie sich und das Alien schnaubte genervt.

»Du heißt Josefin Aymann«, brummte es.

»Ja, aber alle nennen mich Josy. Moment mal! Woher weißt du das?«

Das Alien grinste und zeigte dabei die scharfen Reißzähne. »Ich habe dich heute Morgen angerufen, um deinen Standort zu lokalisieren.«

»Du warst der Anrufer ohne Kennung?«, mutmaßte Josy.

»Ist es hier?«

Das Gespräch mit dem Alien kam ihr irgendwie merkwürdig vor. Keiner ging wirklich auf den anderen ein und es schien, als taxierte es Josy mit Worten, bevor es entschied, wie es sich nun verhalten sollte. Es dauerte einen Moment, bis Josy den Sinn seiner Frage verstand und sie schüttelte den Kopf.

»Wo ist es?«

»Was ist es?«, entgegnete Josy.

Das Alien schnaubte. »Ich könnte dich mit Leichtigkeit dazu zwingen, es mir zu sagen.«

»Ich habe dir gerade das Leben gerettet!«

»Vielleicht bedeutet das bei meinem Volk nicht viel?«

Josy schluckte, doch dann lächelte sie wissend.

»Du würdest nicht mit mir reden, wenn es so wäre.«

Er spie ein Wort aus, das Josy nicht verstand und unmöglich würde aussprechen können.

Josy ging in die Küche, holte zwei Flaschen Wasser und setzte sich damit auf das Sofa. Eine stellte sie auf den Tisch und wies mit der Hand auf den Sessel, der am weitesten entfernt stand.

Das Alien nahm die Halfter von seinen Oberschenkeln, legte sie achtlos auf den Boden und setzte sich. Erleichtert stellte Josy fest, dass dieses irre rote Licht an den Silberstäben erlosch. Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Flasche und auch das Alien griff nach seiner und trank. Josy betrachtete es. Die Haut auf seinem Oberkörper hatte das gleiche dunkle Muster wie sein Gesicht. In mal dünner mal dicker werdenden Streifen liefen sie quer über seinen Körper und schmalere über die Hände und Finger. Es hatte fünf Finger wie ein Mensch, mit Nägeln, die jedoch dunkel und leicht nach innen gebogen waren, wie bei den Primaten auf der Erde.

Wir suchen nicht nach Unterschieden, wir konzentrieren uns auf die Gemeinsamkeiten, tönte Hironimos Lehrsatz in ihrem Kopf. So ist es einfacher, mit Wesen aus anderen Welten zu kommunizieren. Vielleicht sollte sie anfangen, das Alien in Gedanken als ER und nicht als ES zu sehen? Denn es schien definitiv männlich zu sein. Bei der ersten Begegnung waren die Mitarbeitenden von Interstellar Cooperation angehalten, geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu wählen, bis das Alien eindeutig zuzuordnen war.

»Dacan«, begann sie, doch er unterbrach sie sofort.

»Dacan Gor DaVitt«, brummte er.

»Okay, Dacan Gor DaVitt«, seufzte Josy. »Sicher weißt du, dass es verboten ist, Artefakte aus anderen Welten hier auf der Erde zu deponieren.«

»Ja, Josefin Aymann, das weiß ich.« Er beugte sich im Sessel vor und sah ihr prüfend in die Augen. »Aber ich bin sicher, dass du das nicht gewusst hast, als du es an dich genommen hast.«

Verdammt, er war gut, fluchte Josy in Gedanken.

»Hast du jemandem davon erzählt?«

Es fiel Josy schwer, seine Mimik zu deuten. Doch sie glaubte eine Spur von Besorgnis darin zu sehen.

»Nein«, gestand sie und blickte zur Seite.

Dacan atmete auf und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Dann gib es mir und du siehst mich nie wieder.«

»Was ist es?«, fragte Josy erneut.

»Wieso interessiert dich das?«

»Weil ich jetzt weiß, dass es verboten ist. Es könnte ein Sender sein, den du aktivieren willst, um deine Leute auf die Erde zu lotsen. Deine Spezies ist nicht gelistet! Es könnte eine Waffe sein, die auf der Erde Schaden anrichtet. Es könnten Viren oder Bakterien drin sein, die Menschen töten, es könnte …«

»Dann sei doch froh, wenn du es los bist. Gib es mir und ich verschwinde. Ich steige in mein Raumschiff und bringe es weit fort von diesem überhitzten Planeten.«

Erneut griff er nach einem der Tücher und rieb sich damit ab.

Ja, dachte Josy, es war verdammt heiß heute. Ihr selbst lief gerade ein Tropfen Schweiß über die Schläfe und der dunkle Stoff ihres Tanktops war mittlerweile unter den Achseln nass. Dacan deutete auf ihr Gesicht.

»Du läufst aus, Josefin Aymann«, bemerkte er verwundert.

»Ich schwitze. Menschen tun das, um ihre Körpertemperatur zu senken.«

»Geschickter Zug eurer Evolution«, sagte er beeindruckt. »Gib es mir!«

Josy schüttelte den Kopf.

Ruckartig beugte er sich nach vorn, bleckte die Zähne und fauchte sie an.

Josy zuckte erschrocken zusammen und stieß einen leisen Schrei aus.

»Wie ich sehe, hast du Angst vor mir«, murmelte er zufrieden, lehnte sich wieder zurück, legte einen Fuß lässig auf dem anderen Knie ab und die Arme auf die Lehnen.

»Was bist du?«, krächzte Josy heiser.

»Ein Krieger der Kraya«, antwortete er und klang stolz.

»Welches Planetensystem?«, fragte sie und bekam ihre Stimme langsam wieder in den Griff.

»Du meinst wohl, welche Galaxie?«, erwiderte er und lachte.

Josy hörte ihn sprechen, aber sie erfasste den Sinn seiner Worte nicht. Er lachte! Das Alien lachte! Humor besaßen die wenigsten Außerirdischen, auch wenn sie noch so menschlich aussahen. So wie Dacan, bei dem sich im Gesicht die gleichen Lachfalten abzeichneten wie bei einem Menschen.

»Kein Wunder, dass sie Terra zum Planeten non grata gemacht haben«, schmunzelte er. »Ihr seid intelligent, in gewissem Maße, aber so auf euch fixiert, dass ihr das große Ganze nicht erfassen könnt. Ihr leugnet die Existenz anderer Welten, weil ihr weder die Mittel noch die Intelligenz habt, sie zu unterwerfen. Und euer Hirn ist so beschränkt, dass ihr die Unendlichkeit nicht begreifen könnt.«

Josy blinzelte nur. Wie konnte es sein, dass er so viel über die Menschen wusste, aber seine Spezies nicht in der großen Kartei gelistet war?

»Hast du es hier? Gib es mir zurück und ich verschwinde.«

Trotz der Hitze bekam Josy bei seinem Tonfall erneut eine Gänsehaut.

»Nein. Was ist es?«, erwiderte sie tapfer.

»Es ist meine Freiheit«, knurrte Dacan und schloss kurz die Augen.

»Deine Freiheit?«, wiederholte Josy irritiert.

»Ja, verdammt«, murmelte Dacan. »Hättest du es nicht einfach an Ort und Stelle lassen können? Ich hätte es mir geholt und wäre endlich frei gewesen.«

»Es wäre nicht mehr dort«, sagte Josy leise.

Dacan blickte ruckartig auf und starrte sie an. »Warum nicht?«

»Das Ufer dort wird regelmäßig überflutet. Du hast es nicht tief genug vergraben. Mittlerweile wäre es freigespült worden und läge irgendwo im See. Vermutlich unter einer dicken Schicht Schlick und Sand.«

Josy senkte den Blick.

»Ich habe damals verstanden, dass es etwas Wichtiges sein musste. Also habe ich es ein paar Tage später gesucht und an mich genommen.«

»Wo ist es?«, knurrte Dacan erneut.

»Ich habe es sicher versteckt.«

»Wo?«

»Ich muss erst wissen, was es ist und wozu es dient. Vorher werde ich es dir nicht geben.«

Ruckartig stand Dacan auf und ging nervös auf und ab. Plötzlich blieb er stehen und drehte sich zu Josy herum. »Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann«, sagte er.

Josy zuckte mit den Schultern. »Geht mir genauso. Du kannst mir alles Mögliche erzählen. Vielleicht nimmt es deine Art mit der Wahrheit nicht so genau.«

Dacan verzog das Gesicht und knurrte tief in seiner Kehle. »Du zweifelst an meiner Ehre?«

»Ich kenne deine Definition von Ehre nicht.«

Der Alien bleckte die Zähne in ihre Richtung und Josy schluckte schwer. Sein Gebiss war wirklich furchteinflößend.

»Wir sollten herausfinden, ob wir uns vertrauen können«, schlug Josy vor, bevor er noch auf die Idee kam, sie zu beißen.

Das Muster über Dacans Augen zog sich hoch, als würde er die Brauen heben.

»Wie meinst du das?«

»In zwei Erdenwochen kommen meine Mitbewohner zurück. Ich bin von der Arbeit freigestellt. Lernen wir uns kennen. Deine Spezies ist bei uns nicht gelistet. Erzähl mir von dir und deinem Planeten. Und danach entscheide ich, ob ich dir dein Eigentum wiedergebe.«

Dacan lachte und seine Fangzähne blitzten dabei gefährlich auf. »Du kleiner schwacher Mensch. Was machst du, wenn ich nicht will?«

Josy zuckte nur mit den Schultern. »Du hättest mich längst so lange quälen können, bis ich dir verrate, wo ich deine Freiheit versteckt habe. Aber das hast du nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es gegen deine Ehre spricht, demjenigen zu schaden, der dir das Leben gerettet hat.« Sie lächelte siegessicher. »Du bist größer, gefährlicher und stärker als ich. Und trotzdem sitzt du hier und redest, statt mich mit deinen eindrucksvollen Reißzähnen zu verletzen oder mich mit einer Waffe zu bedrohen.« Sie sah zu den Stäben, die neben Dacan auf dem Boden lagen und lächelte wissend. »Niemals würdest du mir etwas antun. Hab ich recht?«

Dacan rieb mit den Händen durch sein Gesicht. »Ja«, gestand er stöhnend.

»Siehst du, das ist schon mal ein Punkt, der für dich spricht.«

 

Josy stand auf, hob das Paket von Green Garden auf und räumte das Gemüse in den Kühlschrank.

»Hast du Hunger?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete er knapp.

»Fleischfresser?«, hakte Josy nach und sah kurz über die Schulter zu Dacan hinüber.

Er grinste, bleckte seine eindrucksvollen Reißzähne und ließ die Kiefer aufeinander schnappen. »Wonach sieht es denn aus?«

»Roh oder gegart?«

»Egal.«

Josy kehrte ihm wieder den Rücken zu und verdrehte die Augen. Ganz sicher würde sie nicht zusehen, wie er seine Fänge in rohes Fleisch grub. Sie öffnete den Gefrierschrank, holte ein Paket Hähnchenbrust heraus und runzelte die Stirn. »Allergien oder Unverträglichkeiten?«

Sie hielt die Packung hoch, Dacan stand auf und ging zu ihr hinüber.

»Ich bin ein Raubtier«, raunte er und grinste erneut. »Scheinbar vertrage ich keine große Hitze, aber ansonsten bringt mich so schnell nichts um.«

Josy stellte eine Pfanne auf den Herd, tat Fett hinein und holte Salat und Tomaten aus dem Kühlschrank. Dacan beobachtete sie aufmerksam, als sie den Salat verlas und die Tomaten kleinschnitt.

Bald brutzelte das Geflügel in der Pfanne und ein bunter Salat war angerichtet. Josy wollte nicht mit ihm an einem Tisch sitzen, da wäre der Abstand viel zu gering. Doch die Küche war mit einer hohen Theke vom Wohnraum abgegrenzt, vor der ein paar Barhocker standen. Solange Dacan auf der einen Seite blieb, war ausreichend Distanz zwischen ihnen. Josy legte ihm einen Teller und Besteck hin und stellte die Schüssel mit Salat dazu. Dacan fischte mit zwei Fingern ein Blatt heraus und betrachtete es.

»Sicher, dass man das essen kann?«, fragte er skeptisch und roch daran.

Josy lachte. »Menschen sind Omnivore. Wir essen tierische und pflanzliche Nahrung.«

Sie stach mit der Gabel in die Salatschüssel und schob sich Blattsalat und ein Stück Tomate in den Mund. Dacan kostete das Salatblatt ebenfalls, kaute darauf herum und spuckte es anschließend auf den Boden.

»Es ist widerlich«, brummte er.

Josy sah ihn ärgerlich an, riss ein Stück Küchenpapier ab und hielt es ihm hin. »Aufwischen!«, befahl sie und sah Dacan auffordernd an.

»Was denn?«

»Na das, was du gerade auf den Boden gespuckt hast!«

»Habt ihr keine Maschinen dafür?«, fragte er ehrlich verwundert.

»Nicht für alles«, erklärte Josy.

Dacan schnaubte, nahm das Papier und wischte das zerkaute Salatblatt auf.

»Hier ist der Mülleimer.« Josy öffnete die Tür unter der Spüle und zog den Abfalleimer hervor.

Dacan ging um die Theke herum und warf es in den Müll. Josy hielt den Atem an. Sie hätte es ihm abnehmen und selbst hineinwerfen sollen. Bisher war der Abstand zu ihm groß genug, oder die Theke zwischen ihnen gewesen. Jetzt stand er direkt vor ihr und sah auf sie hinab.

»Du bist ein Weibchen, Josefin Aymann, richtig?«, fragte er.

»Eine Frau, ja«, bestätigte sie und bemühte sich, ihr Unbehagen zu unterdrücken. Er war ihr viel zu nah. »Wörter wie Weibchen oder Männchen nutzen wir nur bei der Geschlechterbestimmung von Tieren. Und du kannst Josy zu mir sagen. Wenn Menschen sich kennenlernen, nutzen sie nie den vollen Namen, sondern nur den ersten oder eine Kurzform davon.«

Dacan nickte. »Das ist bei uns auch so. Dann darfst du Dacan zu mir sagen.«

Er legte den Kopf schräg und musterte sie. »Ihr Menschen seid ein komisches Volk«, murmelte er. »Du hast Fell, das dich nicht wärmen kann.« Mit dem Fingerrücken strich er über die feinen Härchen auf ihrem Unterarm und Josy erstarrte.

»Es hat sich im Laufe der Evolution zurückgebildet«, krächzte sie und verschränkte schützend die Arme vor der Brust.

»Dachte mir schon, dass sie bei euch noch nicht abgeschlossen ist«, erwiderte Dacan und ging zurück hinter die Theke.

Josy atmete auf und tat ihm das Fleisch aus der Pfanne auf den Teller.

 »Wir essen nur selten mit den Fingern«, erklärte Josy, als Dacan mit der Hand danach griff.

Demonstrativ tat sie Salat auf ihre Gabel und führte sie zum Mund.

Dacan schnaubte, stach ebenfalls seine Gabel in das Fleisch und biss dann mit den Zähnen ein großes Stück davon ab. Er kaute kaum, bevor er es hinunterschluckte.

Josy zwang sich, auf ihren Teller zu sehen und selbst etwas zu essen.

»Warum hast du gefragt, ob ich ein Fleischfresser bin?«, fragte er zwischen zwei Bissen. »Menschen essen und Tiere fressen. Denkst du, ich bin wie eines der Tiere auf eurem Planeten?«

Heiße Röte schoss Josy ins Gesicht. »Natürlich nicht. Verzeihung«, murmelte sie betreten und räusperte sich. »Du … sprichst meine Sprache ziemlich gut.«

»Ich spreche sehr viele Sprachen«, entgegnete er, ohne auf ihre Entschuldigung einzugehen. Dann reckte er sich und gähnte. Josy unterdrückte ein Schaudern, als er sein Gebiss dabei eindrucksvoll zur Schau stellte.

»Sind diese Räume sicher?«, fragte er.

»Ja, sind sie.«

Dacan erhob sich, legte den Kopf schräg und sah ihr in die Augen.

»Ich vertraue dir, Josefin Aymann«, sagte er ernst, ging zum Sessel, setzte sich hinein und schloss die Augen.

 

Josy stellte das Geschirr in die Spüle und betrachtete ihn danach lange. Seine Arme lagen locker auf den Lehnen, die Hände hatte er auf den Bauch gelegt und seine Beine waren entspannt auseinandergefallen. Seine Füße waren genauso menschenähnlich wie die Hände. Fünf Zehen, mit dunklen Nägeln und dem Muster auf der Haut. Er hatte große Füße, sicher Schuhgröße achtundvierzig. Aber er war auch ein großes Alien. Ein großer Mann, korrigierte sich Josy in Gedanken. Hironimo wäre ausgeflippt, wenn er ihren Fauxpas mit dem Fleischfresser mitbekommen hätte. Sie seufzte, ging in ihr Zimmer und holte Block und Stift. Hastig notierte sie, was sie alles von ihm erfahren hatte und besonders, was er nicht erzählt hatte. Ein Krieger von Kraya, Karnivore, aus einer anderen Galaxie. Eine lebendgebärende und säugende Spezies. Haarlos bis auf das Kopfhaar. Ob es sich hierbei jedoch tatsächlich um Haare handelte, konnte Josy nicht sagen. Und ob er, wie die Menschen, noch an anderen Stellen Haare hatte, würde sie nicht ergründen. Zumindest hatte er unter den Achseln keine.

Er hatte Ehrgefühl, war stolz, ein Krieger zu sein, und Josy hatte ihn eindeutig gekränkt. Das ließ auf eine menschenähnliche Sozialstruktur in seiner Heimat schließen. Bei den Paridern zum Beispiel wurden die Bewohner in eine bestimmte Schicht hineingeboren. Anführer, Kämpfer, Bauern oder Beamte und niemand versuchte aus seiner Position auszubrechen. Jeder fügte sich seiner Bestimmung und Neid, Missgunst oder Beleidigungen kannte das Volk nicht.

Das dunkle Muster auf seiner Haut war schwer zu beschreiben. Es erinnerte entfernt an das Fell eines Tigers und Josy skizzierte es. Sein Gesicht, seine Arme, seine Hände und die Füße.

 

Dacan schlief schon seit zwei Stunden und außer leisen Atemgeräuschen gab er keinen Laut von sich. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und Josy öffnete alle Fenster und Türen, um die kühlere Abendluft hineinzulassen.

Sie schaltete den Fernseher ein, stellte die Lautstärke leise und sah die Nachrichten. Der ganze Kontinent litt unter der Hitzewelle und einige Wälder im Süden Europas brannten schon seit Tagen.

Dacan holte tief Luft und Josy sah mit einem Lächeln zu ihm hinüber.

»Ausgeschlafen?«, fragte sie.

Dacan reckte sich. »Ja«, erwiderte er und lächelte ebenfalls, was aufgrund der Reißzähne ziemlich gefährlich aussah.

Josy blickte wieder zum Fernseher und Dacan tat es ihr gleich.

 »Ich würde mich gern noch ein wenig entspannen«, sagte er, als gerade ein Interview mit dem Wirtschaftsminister ausgestrahlt wurde. »Wir sehen kompatibel aus. Hast du Lust auf Sex?«

Josys Blick schoss zu ihm hinüber und sie starrte ihn entsetzt an.

»Nein!«, antwortete sie schrill. »Auf keinen Fall!«

»Okay!« Dacan hob beschwichtigend die Arme. »Es war nur eine Frage. Kein Grund, sich aufzuregen.«

Josy schnaubte und sah wieder zum Bildschirm.

Es war schon schlimm, was die Dürre mit der Landwirtschaft in Europa anstellte. Missernten wurden angekündigt und die Flüsse führten so wenig Wasser, dass die Schifffahrt fast zum Erliegen kam. Der Vorsitzende des Bauernverbandes beklagte ein Versagen der Politik und forderte EU-weite Unterstützung für alle betroffenen Landwirte.

Neben Josy erklang ein leises Stöhnen.

Sport interessierte Josy nicht sonderlich und sie hörte nur mit einem Ohr zu.

Das Stöhnen wurde lauter.

Josy runzelte die Stirn. Es hörte sich an, als wäre Dacan erneut überhitzt. Besorgt sah sie zu ihm hinüber und erstarrte. Seine Hose hing auf den Knöcheln und seine Hand umfasste ein erschreckend menschliches Organ. Josy konnte nicht atmen, nicht schlucken, nicht denken. Dacan saß direkt neben ihr und … befriedigte sich selbst? Das Stöhnen wurde immer tiefer und lauter, wieder und wieder stieß er mit seinem Schaft in seine Hand. Die Augen waren geschlossen, sein Kopf in den Nacken gelegt und als wäre er allein, gab er sich ganz seiner Lust hin – bis sie gestillt war.

Mit roten Wangen blickte Josy ruckartig wieder zum Fernseher. Das war jetzt nicht wirklich passiert, oder?

Sie sah noch einmal zu ihm, gerade als er seine Hand am Polster des Sessels abwischen wollte.

»Nicht!«, rief Josy instinktiv und Dacan sah überrascht zu ihr hinüber.

»Gibt es auf deinem Planeten kein Badezimmer?«, fragte sie ärgerlich und sprang auf. Schwungvoll riss sie die Tür zu ihrem Zimmer auf und wies mit der Hand auf ihr Bad. »Da drin kannst du dich säubern. Nicht auf dem Sofa!«

Ohne Schamgefühl stand Dacan auf, zog mit einer Hand die Hose bis zu seinen Oberschenkeln hoch, um besser gehen zu können, und folgte ihr.

»Und wenn du fertig bist, ist deine Hose wieder da, wo sie hingehört«, befahl sie ungehalten.

Dacan nickte grinsend. »Wie du es möchtest«, sagte er und zog die Badezimmertür hinter sich zu.

 

Josy seufzte schwer. Womit hatte sie das verdient? Sie schnappte sich ihren Notizblock, vermerkte Keine Schambehaarung und setzte sich wieder auf das Sofa. Kurz darauf kam Dacan zurück, doch Josy würdigte ihn keines Blickes.

»Habe ich dich verärgert?«, fragte er, als der Wetterbericht lief.

Josy holte tief Luft.

»Es ist nicht schicklich, sich in Gegenwart einer Fremden zu befriedigen«, brachte sie mühsam hervor.

»Verzeihung«, sagte er so zerknirscht, dass Josy zu ihm hinübersah. »Ich habe das nicht gewusst«, fuhr er lächelnd fort und Josy glaubte ihm kein Wort.